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Zum Caritassonntag am 18. Februar

Erstellt von Stefan Teplan, Deutscher Caritasverband e.V. Caritas international | |   Top 1

Der Strom fliehender Menschen reißt nicht ab. Seit Mitte August sind etwa 700.000 Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch geflohen – und ein Ende des Flüchtlingsdramas ist nicht abzusehen.

“Nullpunkt” nennt die lokale Bevölkerung den südlichsten Zipfel von Bangladesch. Er befindet sich auf einer vorgeschobenen Landzunge am Ufer des Flusses Naf, der sich hier in den Indischen Ozean ergießt. Am anderen Ende des Flusses, der hier an seiner schmalsten Stelle eineinhalb, an seiner breitesten zweieinhalb Kilometer breit ist, liegt Myanmar. Dass der Fluss die beiden Länder trennt, wurde in den letzten Jahrzehnten schon manchem zum Verhängnis, der ihn ihm nur arglos schwimmen oder fischen – oder auch, weniger arglos, tatsächlich über ihn flüchten – wollte. 

Auf die Tausende von Flüchtlingen aber, die ihn derzeit täglich überqueren, schießt niemand mehr. „Sie wollen uns los haben“, sagt mir, kaum dass er das Festland von Bangladesch betreten hat, einer von ihnen. „Immer wieder haben uns Behörden und Soldaten gesagt: „Geht doch nach Bangladesch!“ Und wer nicht gehen will, dessen Häuser fackeln sie ab. Nein, es wird wohl kein Zurück mehr geben.“ Der Nullpunkt wird zum Punkt ohne Wiederkehr. Das jedenfalls glauben die meisten, die ihn vom anderen Ufer her erreichen.

Mit bloßem Auge ist dort, am sandigen Strand von Myanmar, ein Camp erkennbar. Von dort setzen Schlepper – skrupellose Geschäftemacher, die mit dem Unglück anderer reich werden und ihnen für eine kurze Überfahrt das letzte Geld und den letzten verbliebenen Schmuck abverlangen – sie nachts auf die kleine Insel Shah Parir Dwip über, die bereits zu Bangladesch gehört und zehn Motorboot-Minuten von dessen Festland entfernt liegt.

Warum nachts? Es soll im Dunkeln bleiben, was man verbergen will. Zum einen wollen die Schlepper nicht bei ihrem schmutzigen Geschäft entdeckt werden. Zum anderen wohl muss so das eine Land nicht zugeben, dass es Menschen loswerden will und das andere nicht den Anschein erwecken, dass es den kaum mehr kontrollierbaren Massenzustrom offiziell duldet. 

Platzt doch Bangladesch ohnehin bereits aus allen Nähten. Es ist das am dichtesten besiedelte Land der Erde; nun kommen noch über 700.000 Flüchtlinge dazu und das dürfte noch lange nicht das Ende sein. Zehn Prozent der bereits Angekommenen sind hochschwangere Frauen. Dies wird schon sehr bald die Rate auf zusätzliche 70.000 erhöhen. Und wenn die Vertreibungen aus Myanmar andauern, so rechnen Experten mit einem Zustrom von etwa weiteren 250.000. Eine enorme Herausforderung für ein sehr armes Land wie Bangladesch. Ohne die humanitäre Hilfe von Caritas und anderen Nichtregierungs-Organisationen wäre dies kaum zu stemmen.

Die Flüchtlinge müssen auf die Flut warten, bis sie von Sha Parir Dwip auf das Festland übersetzen können: Bei Ebbe können Boote nicht an der Kaimauer anlegen, weil das Wasser zu weit zurückgeht und die Passagiere sonst durch das Watt waten müssten. Ich stehe am Kai und warte. Allmählich steigt der Wasserpegel. Und dann kommen sie, die Vertriebenen aus Myanmar, in Scharen von kleinen Holzbooten, von denen jedes bis zu 25 Personen fasst. Eines nach dem anderen legt an, eine Gruppe nach der anderen steigt aus und zieht an mir vorbei; es ist ein Leidenszug aus Menschen mit verhärmten Gesichtern, sichtlich ausgezehrt und erschöpft, mit müden, oft blutunterlaufenen Augen und traurigen, apathisch wirkenden Mienen. Es ist kaum vorstellbar, was sie hinter sich haben an Grausamkeit und Gewalt, Schikanen und Strapazen. Viele können oder wollen nicht davon erzählen, sie stehen unter Schock. Doch es genügt das, was die wenigen, die reden, berichten - ähnliches haben fast alle erlebt. Mord, Plünderungen, Vergewaltigungen durch Soldaten der Armee von Myanmar gehen demzufolge unentwegt in ihren Dörfern vor sich. Manche Details sind zu grausam als dass man sie überhaupt weitergeben möchte. Junge Mädchen und Ehefrauen, so wird mir berichtet, werden vor den Augen ihrer Familie gefoltert und vergewaltigt. Wenn ein Bruder oder Familienvater dazwischen gehen will, wird er augenblicklich getötet. Im günstigsten Fall „nur“ erschossen. Manchmal aber auch sollen Soldaten den Jungen und Männern bei lebendigem Leib die Gliedmaßen abtrennen. Wohl dem, dem es rechtzeitig gelang, durch den Dschungel zu fliehen. Wohl dem, der nur seinen Besitz verlor und samt seinen (überlebenden) Familienmitgliedern mit dem Leben davonkam. Und wohl dem, der, nach Tagen oder Wochen aufreibender Flucht, in Bangladesch gelandet ist und Terror und Angst hinter sich wissen darf.

„Es ist mir egal, was mir hier in Bangladesch widerfahren mag“, sagt mir eine Frau am Strand. „Schlimmer kann es nicht mehr werden. Die Hauptsache ist, dass ich jetzt in einem sicheren Land bin und keine Angst mehr haben muss.“

In Sichtweite des Kais, höchstens einen Kilometer entfernt, liegt der Ort Teknaf, benannt nach dem Fluss, an dessen Ufer er erbaut wurde. Angehörige der Armee von Bangladesch leiten die Flüchtlinge dorthin und dort werden die neu Angekommenen namentlich erfasst, dort bekommen sie zunächst zu essen und zu trinken, dort auch werden sie medizinisch versorgt. Ein großes Betongebäude sticht aus den einfachen, vorwiegend aus Palmblättern oder Bretterverschlägen bestehenden Häusern Teknafs hervor: Es ist ein sturmsicheres Schutzgebäude, das die Caritas dort vor 20 Jahren errichtet hat. „Ein seltsame Wendung der Geschichte“, sagt mir James Gomes, der mich begleitende regionale Caritasdirektor. „Es wurde von der Caritas aus humanitären Gründen erbaut - um die Bevölkerung gegen die hier oft wütenden Wirbelstürme zu schützen. Jetzt dient es ganz anderen humanitären Zwecken: Wir haben jetzt das Gebäude als Vorratslager für Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente zur Verfügung gestellt, Hilfsgüter, mit denen wir und andere Hilfsorganisationen die Flüchtlinge vor Ort versorgen.“ 

Trotz aller Erschöpfung stellt sich eine spürbare Erleichterung in den Gesichtern der Flüchtlinge ein, als sie sehen, dass sie gut behandelt und versorgt werden, als sie erfahren, dass sie nicht auf der Straße leben müssen, sondern in vorbereitete Camps kommen. Dort stehen zwar noch keine Häuser, sondern nur notdürftig errichtete Zelte, dort auch lassen bislang die sanitären Verhältnisse noch sehr zu wünschen übrig, „doch sind wir“, wie James Gomes weiter mitteilt, „in Absprache mit anderen Hilfsorganisationen gerade dabei, dies so schnell wie möglich zu verbessern.“

Ich blicke wieder in Richtung der Kaimauer. Der Strom von Menschen auf dem Kai und der Straße nach Teknaf lässt und lässt nicht nach. Ich blicke über den Fluss Naf, auf die Grenze und die grünen Hügel von Myanmar, die sich dahinter erheben. Kein Mensch weiß so richtig, was hinter diesen Hügeln geschieht. Und wer die Aussagen der entflohenen Rohingya, die von dort kommen, gehört hat, will vielleicht gar nicht mehr wissen. Mehr kann ein Mensch mit Gefühlen nicht verkraften.

Unterstützen Sie die Arbeit von Caritas International durch Ihre Spende in den Gottesdiensten am Caritassonntag, 18.02.2018 gegen die gewaltsame Vertreitung der Rohingya in Myanmar.

Oder spenden Sie direkt:
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© by Stefan Teplan, Caritas International